4 Die zwölf Teamverstärker

FRANCIS / YOUNG haben zwölf Merkmale herausgearbeitet, die Auskunft über die Leistungsfähigkeit eines Teams geben können. Diese Merkmale haben FRANCIS / YOUNG Teamverstärker genannt, weil sie Energien freisetzen und das Team leistungsfähig machen, wenn sie positiv ausgeprägt sind. Sind einige dieser Verstärker jedoch schlecht ausgebildet, können sie zu Widerständen oder Hindernissen für die Gruppenentwicklung werden.

Ich werde im Folgenden FRANCIS / YOUNG in ihrer Argumentation folgen und die Teamverstärker der Reihe nach vorstellen. Im Anschluß an die einzelnen Beschreibungen werde ich ihre jeweilige Relevanz für die in der Station arbeitenden Teams erörtern.

4.1 Führung

Die Art und Weise, wie eine Gruppe geleitet wird, hat größten Einfluß auf die Teamfähigkeit derselben. Lehnt der Gruppenleiter einen partizipativen Führungsstil ab, wird die Gruppe niemals zum Team reifen können. Abgesehen von der Tatsache, daß Vorgesetzte besondere Verantwortlichkeiten und Aufgaben haben, sollten sie sich nie hinter den Symbolen der Macht verstecken. Das führt zu Isolation und Gruppenferne. LEUZINGER / LUTERBACHER betonen mehrfach, daß die Rolle des Gruppenführers derart vielfältige Anforderungen aufweist, daß es "...durchaus möglich ist, daß sich verschiedene Gruppenmitglieder in der Führung der Gruppe ablösen..."(1994, S.114 f).

Wenn sich eine Gruppe für den teamzentrierten Arbeitsstil entschieden hat, ist auf dem Weg dahin das Vorbild des Chefs von entscheidender Bedeutung. Nur wenn er den offenen Stil vorlebt und Gruppenmitglieder Führungsaufgaben übernehmen läßt, wird der Stein ins Rollen kommen.

FRANCIS / YOUNG unterscheiden zwischen dem formalen Vorgesetzten und dem Gruppenführer. Der Vorgesetzte ist das vom Unternehmen autorisierte Haupt. Seine konventionellen Aufgaben bestehen in Tätigkeiten wie entscheiden, kontrollieren und disziplinieren. Diese Tätigkeiten sind in einem teamzentrierten Ansatz jedoch Aufgabe der Gruppe. Auch andere Führungsaufgaben werden zunehmend von verschiedenen Gruppenmitgliedern übernommen, wobei persönliche und fachliche Qualitäten ausschlaggebende Kriterien sind. Der Teamführer, der dann eher ein "primus inter pares" (LEUZINGER / LUTERBACHER, 1994, S.134) ist, wird sich nun ganz anderen Aufgaben zuwenden: er sollte qualifizierte Mitarbeiter aneinander binden, für ein konstruktives, offenes Klima sorgen, Tatkraft demonstrieren, motivieren und so etwas wie ein Frühwarnsystem für alle Arten von Hindernissen entwickeln. Darüberhinaus muß er deutlich machen, daß alle offenen Fragen gänzlich geklärt werden.

Im partizipativen Führungsstil liegt meines Erachtens gerade für das im Schichtdienst arbeitende Krankenpflegepersonal eine große Chance. Wenn sich Führungsarbeit noch mehr verteilt als auf die Stationsleitung mit ihren Stellvertretungen, kommt es in Spät-, Nacht- und Wochenendschichten nicht mehr zu "Führungslöchern". Im günstigsten Falle traut sich jeder Mitarbeiter auf der Station zu, alle die Probleme zu lösen, die im strengen Liniensystem zu den ‚top secrets' der Leitung gehörten. Auf Stationen mit nur wenigen Mitarbeitern hätte das den zusätzlichen Vorteil, daß die Stationsleitung nicht mehr in dem Maße wie bisher darauf festgelegt wäre, an allen Werktagen vormittags arbeiten zu müssen.

Für die einzelnen Mitarbeiter kann dieser Prozeß ein Job-Enrichment bedeuten, weil sie über die bekannten Tätigkeiten hinaus in vertikaler Hinsicht neue Aufgaben erhalten, die eine Herausforderung darstellen und im Rahmen neuer Erfahrungen einen Weg zu mehr intrinsischer Arbeitszufriedenheit darstellen können.

4.2 Qualifikation

Der ständigen Vermehrung von Wissen und Forschungsergebnissen steht die menschliche Eigenschaft gegenüber, nicht benütztes Wissen zu vergessen. Andererseits ist kein Mensch in der Lage, sich auf allen Gebieten seines Fachs auf dem Laufenden zu halten. In einer Arbeitsgruppe muß die richtige Mischung von Talenten zusammengestellt werden, was sowohl für Neueinstellungen als auch für die Weiterentwicklung der laufenden Gruppe gilt.

Mit dem Begriff Talent ist mehr gemeint als nur die fachliche Qualifikation: auch emotional muß das Team eine in sich stimmige Konstellation aufweisen, um funktionieren zu können.

Das erfolgreiche Team kann als System aufgefasst werden, welches sich nach außen durch seine Kompetenz und Flexibilität auszeichnet. Dies wird durch die richtige Verteilung der Talente innerhalb des Teams gewährleistet (vgl. FRANCIS / YOUNG, 1996, S.84ff).

Gerade in der Krankenpflege ist bekanntlich die Aufgabenvielfalt immens. Die Pflegekraft soll Fachkraft in möglichst allen pflegespezifischen, medizinischen, hygienischen, krankengymnastischen, psychologischen, diätetischen usw. Fragen sein. Auch hier ist eine kontinuierliche Vermehrung des Fachwissens zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu steht die Beobachtung, daß viele Mitarbeiter das in der Ausbildung Gelernte im Berufsalltag mit fehlender Anwendung wieder vergessen. Auch wenn Fortbildungen von engagierten Kollegen besucht werden, so wird das neu erlernte Wissen doch nicht effektiv in die Arbeitsgruppe hineingetragen. Ich bin der Überzeugung, daß im Zuge des Teamtrainings Mechanismen eingebaut werden können, die eine bessere Verbreitung neuen Wissens im Arbeitsteam gewährleisten.

4.3 Engagement

In der Anfangsphase fordert ein Team von jedem Mitglied viel Zeit und Liebe ein. Zwangsläufig kommt es zu Konflikten zwischen den Interessen des Einzelnen und denen des Teams. Hier ist ein Engagement gefragt, das sich aber bald auszuzahlen beginnt: der Einzelne erkennt für sich die Ziele des Teams als erstrebenswert an, ihm macht die Arbeit Spaß und er stellt auch gerne seine persönlichen Interessen für das Team hintan. Für ein geglücktes Engagement ist die Freude bei der Arbeit und im Umgang miteinander ein guter Parameter.

Gegenseitige persönliche und fachliche Wertschätzung haben zur Folge, daß gelungene Einzelbeiträge entsprechend gelobt werden. Dieses führt in einem Rückkopplungseffekt wiederum zur Stärkung des Engagements. Außerdem werden die Teammitglieder sich gegenseitig helfen, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Hierin lauert jedoch auch die Gefahr, daß die schlechten Leistungen eines Mitgliedes toleriert werden, um es vor Kritik zu schützen.

Wichtig für die Entwicklung von Engagement ist die Formulierung der Ziele. Sie sollten von allen Mitgliedern getragen werden, weiterhin sollten sie verständlich, klar formuliert und erreichbar sein.

Laut FRANCIS / YOUNG kann man "Engagement gezielt entwickeln, wenn ein Team sich die Zeit für entsprechende Aktivitäten nimmt und sie sorgfältig vorbereitet. Wir halten es für wichtig, daß solche Aktivitäten zu einer Selbstverständlichkeit im Leben einer Organisation werden" (1996, S.89)

Die Formulierung von Zielen ist in der Krankenpflege ein vielbesprochenes Thema. Viele Krankenpflegekräfte empfinden ihre Tätigkeit als Sisyphosarbeit. Im Team kann das Verständnis pflegerischen Handelns als Pflegeprozeß besser herausgearbeitet werden. Außerdem können Ziele vereinbart werden, stationäre und stationsübergreifende Abläufe zu verbessern. Das Team kann sich selbst zu einem ‚Qualitätszirkel vor Ort' ernennen, um organisationales Lernen dort stattfinden zu lassen, wo sich alle Fäden miteinander verknüpfen.

4.4 Klima

Das Klima ist wie der Fingerabdruck eines Teams. In jedem Team bilden sich mit der Zeit bestimmte informelle Normen heraus, nach denen sich alle Mitglieder richten. Dieses Konglomerat aus Traditionen, Glaubenssätzen, Umgangsweisen, Semantiken, Regeln und Beziehungen nennt man das Klima, welches in der Gruppe herrscht. Für seine Entstehung sind im wesentlichen diejenigen verantwortlich, die in der Gruppe über Einfluß verfügen.

Will eine Gruppe teamzentriert arbeiten, muß sie dafür Sorge tragen, daß ein Klima der Offenheit herrscht. Offenheit ist allerdings eine Tugend, die nicht leicht zu erlernen und auch nicht leicht beizubehalten ist. Menschen neigen dazu, Gedanken und Gefühle, die sie für zweifelhaft halten, nicht auszusprechen. Wenn eine Gruppe aber nicht offen miteinander umgeht, können Probleme nicht gelöst werden, was dazu führt, daß Energien gebunden bleiben; es gibt kein stichhaltiges Feedback, so daß Fehler nicht behoben werden; die Beziehungen der Mitglieder bleiben oberflächlich. Allerdings birgt die Offenheit auch Gefahren: Der Einzelne bietet mehr "Breitseite", er wird angreifbar. Manche Mitglieder fühlen sich bedroht und reagieren aggressiv. Unter Umständen ist die Gruppe den Problemen, die auf den Tisch kommen, nicht gewachsen (vgl. FRANCIS / YOUNG, 1996, S. 90f).

Darüber hinaus gibt es in zwischenmenschlichen Beziehungen unzählige Strategien, anderen die eigene Lebensauffassung aufzudrücken. Diese Strategien firmieren in der psychologischen Transaktionsanalyse unter "Spielen". Da mit diesen Strategien immer unausgesprochene (und zum großen Teil auch unbewußte) Absichten verfolgt werden, stehen sie einem offenen Klima, in dem alle Angelegenheiten direkt angesprochen werden, prinzipiell im Wege. Das Schlüsselwort heißt hier Authentizität im Umgang miteinander (vgl. FRANCIS / YOUNG, 1996, S. 91ff).

Die Art und Weise, wie eine Gruppe mit zwischenmenschlichen Problemen fertig wird, ist ein gutes Maß für ihr Klima. Für den Fall, daß eine Gruppe konstruktiv die Probleme, die zwischen einigen ihrer Mitglieder virulent sind, lösen will, stehen auch hier zielorientierte Problemlösungsmethoden zur Verfügung.

Ein weiterer Parameter für ein gutes Klima in Gruppen ist meines Erachtens in der Bemerkung von DSE / COMIT zu erkennen, daß reife Teams ihre Arbeit mit einer angemessenen Feierlichkeit zu beenden wissen. Die krankenpflegerische Tätigkeit auf Station ist nie beendet, und doch kann in den institutionalisierten turnusmäßigen Feierlichkeiten (Weihnachten, Grillfeste im Sommer etc.) ein adäquater Ersatz gesehen werden. Die Art und Häufigkeit, mit der solche Feierlichkeiten ausgerichtet werden und das Maß, mit dem sie frequentiert werden ist m. E. ein ernstzunehmendes Zeichen für das in der Gruppe herrschende Arbeitsklima.

4.5 Leistungsniveau

Natürlich sind Teams in erster Linie dazu da, Leistungen zu erbringen. Also sollten sie auch an ihrer Leistungsfähigkeit beurteilt werden.

Voraussetzung für ein hohes Leistungsniveau sind klare, gemeinsame Ziele. Am Zielerreichungsgrad kann sich die Gruppe selbst messen. Fehlschläge können im Rahmen konstruktiver Kritik in Chancen für die Weiterentwicklung umgebaut werden. Die hohen Leistungsnormen, die sich ein gutes Team auferlegt, werden durch den Gruppendruck aufrechterhalten. Darüber hinaus vermitteln sie bei Einhaltung dem Einzelnen persönliche Befriedigung, was wiederum Einfluß auf den Leistungswillen hat. Hier zeichnet sich ein für das Leistungsniveau günstiger Kreislauf ab, denn ein hoher Leistungswille führt bei gemeinsam erarbeiteten Zielen zu einer hohen Leistungsnorm.

Nach FRANCIS / YOUNG sollten Leistungen innerhalb der Gruppe beurteilt und belohnt werden (1996, S. 97). Die Belohnungen brauchen nicht unbedingt finanzieller Natur zu sein. Das Gefühl, wichtig und gut zu sein sowie die Einbindung in Entscheidungs- und Informationssysteme regen die meisten Menschen derart an, daß sie bereit sind, sich weiterhin in optimaler Weise für ihre Arbeit und damit für ihr Team einzusetzen.

Mit Hilfe von leistungsbezogenen Entgelten versuchen viele Unternehmen das Leistungsniveau anzuheben. Auch in Dienstleistungsbereichen wie der Krankenpflege ist diese Art der Entlohnung im Gespräch. Die multiplen Probleme bei der gerechten Verteilung will und kann ich hier nicht erörtern. Nur so viel: Es ist m. E. der Versuch, über direkt an die Leistungserbringung gekoppelte extrinsische Motivation (Leistungslohn) fehlende intrinsische Motivation mit dem Ziel der Leistungssteigerung zu kompensieren. Eines der größten Probleme bei der Verteilung der vorhandenen finanziellen Mittel ist die entstehende Konkurrenz unter den Gruppenmitgliedern. Da aber Konkurrenz im diametralen Gegensatz zu in Teams praktizierten kooperativen Verhaltensweisen steht, sehe ich eine Unvereinbarkeit der Instrumente leistungsbezogene Entgelte und Teamtraining.

4.6 Rolle in der Organisation

Wichtig ist die Abstimmung der Rolle des Teams mit der Gesamtorganisation. Die Ziele des Teams müssen mit denen der Organisation übereinstimmen und sie müssen mit denen der anderen Teams in der Organisation in Einklang stehen. Hier ist das Ausmaß der Kontrolle durch die Organisation zu klären und Grenzen zwischen Arbeitsgruppen müssen abgebaut werden.

4.7 Arbeitsmethoden

Es stellt sich die Frage, wie das Team seine Aufgaben angeht. Werden Entscheidungen von Einzelnen getroffen, von den "oberen Zehntausend", entscheidet die demokratische Mehrheit, findet man einen Kompromiß oder einen Konsens?


Abbildung 1: Möglichkeiten der Entscheidungsfindung. Quelle: FRANCIS / YOUNG, 1996, S. 104. Entwurf: J. Neubauer

Je weiter rechts die Art eines Teams, Entscheidungen herbeizuführen, anzusiedeln ist, desto mehr ist der einzelne Mitarbeiter an dem Prozeß beteiligt. Das läßt wiederum erwarten, daß er die gefundene Entscheidung entsprechend mitträgt.

Wenn die Entscheidung von der Gruppe herbeigeführt wird, handelt es sich um "schwere Geburten", die die Freude auf ähnliche Prozesse nicht eben erhöht?

Jedes Team muß die Fähigkeit erlangen, Probleme erfolgreich zu lösen. Hierzu kann es sich eines Problemlösungszyklus' bedienen, der je nach Gusto den Bedürfnissen des Teams und der speziellen Aufgaben angepasst werden kann.

4.8 Organisation

Teammitglieder können sich gegenseitig in ihrer Arbeit fördern oder behindern. Deshalb müssen die Rollen der Einzelnen klar definiert sein, um Konflikte zu vermeiden. Im Laufe der Zeit kann sich eine Flexibilität in der situativen Rollenverteilung entwickeln, so daß ein zu starres Festhalten an Stellenbeschreibungen zu vermeiden ist. Nach Möglichkeit ist ein Team so zu organisieren, daß die Improvisationsfähigkeit erhalten bleibt. Um das zu erreichen, kann man spezielle Programme, wie z.B. Job-Rotation, anwenden.

Die Organisation von großen Teams mit mehr als zehn Mitgliedern wirft besondere Probleme auf (vgl. FRANCIS / YOUNG, 1996, S.112ff):

4.8.1 Schwache Führung

Große Gruppen sind schwierig zu führen und erfordern einen disziplinierten Führungsstil. Die Hauptaufgaben des Leiters bestehen darin, die Gruppe in ihrer Arbeit zu strukturieren, die Motivation aufrechtzuerhalten und für das Aufstellen von Zielen zu sorgen.

4.8.2 Nachlassendes Engagement

Weil Individuen in großen Gruppen eher untergehen, schwindet schnell die Motivation und damit auch der Leistungswille. Auch ist durch die größere Anonymität nicht so eine große Geschlossenheit vorhanden.

4.8.3 Zu viele Informationen

Mit zunehmender Gruppengröße nimmt nicht nur die Zahl der Daten zu, sondern auch die Menge der persönlichen Eindrücke und Wahrnehmungen. Es ist schwer, diese Flut zu strukturieren und für Entscheidungen auszuwerten.

4.8.4 Versteckte Konflikte

In großen Gruppen können persönliche Differenzen leicht versteckt werden und im Untergrund weiterschwelen. Wenn solche persönlichen Konflikte auftreten, ist es wichtig, sie aus der Welt zu schaffen, doch besitzen große Gruppen selten die notwendigen Voraussetzungen dafür. Daher sind diese Gruppen auch viel stärker durch Intrigen gefährdet.

4.8.5 Vernachlässigung individueller Qualitäten

Individuelle Fähigkeiten kommen in großen Gruppen weniger zur Geltung, was zu Enttäuschung führt und damit den Arbeitsablauf behindern kann. Im Rahmen der Selbststrukturierung muß jedes Mitglied eine sinnvolle Rolle für sich finden.

4.8.6 Unklare Entscheidungsstrategien

Je größer die Gruppe wird, desto schwieriger wird es, Entscheidungen über einen Konsens herbeizuführen (siehe Kapitel 4.7). Je mehr aber die Entscheidungen "von oben herab" gefällt werden, desto weniger fühlen sich die Mitglieder ihnen verpflichtet. (Eine Möglichkeit besteht darin, die Diskussionszeit zu begrenzen und nach Ablauf der Zeit die bestmögliche Entscheidung zu treffen.)

Hier wird eine prinzipelle Schwierigkeit offenbar, das Teamtraining in stationären Arbeitsgruppen zu implementieren: Selten oder nie umfaßt eine solche Gruppe weniger als zehn Mitglieder. Jedoch wäre es meiner Ansicht nach falsch, aus diesem Grunde zu der Ansicht zu gelangen, es handele sich um eine nicht praktikable Utopie. Denn einerseits verlieren nach LEUZINGER / LUTERBACHER Gruppen erst mit einer Größe von über 30 Mitgliedern den eigentlichen Gruppencharakter (1994, S.93), andererseits arbeiten die stationären Teams in den einzelnen Schichten in Untergruppen von jeweils zwei bis zehn, nur auf sehr großen Intensivstationen von mehr als zehn Mitarbeitern zusammen. Dies sind wiederum überschaubare Gruppengrößen, die bei günstiger Konstellation zu echten Teams werden können. Denn: "Wenn es einmal eingeführt und eingefahren ist, erkennen die Leute bald, daß man neue Teams formieren kann, wie es die Situation gerade erfordert (...). Ein ganzes Unternehmen kann auf diese Weise zu einem riesigen Team werden." (FRANCIS / YOUNG, 1996, S.20)

4.9 Kritik

Aus Höflichkeit, Angst, Harmoniesucht, falsch verstandener Solidarität und Kritikunfähigkeit werden in vielen Gruppen Ereignisse nicht bearbeitet. Kritikfähigkeit, das heißt die Fähigkeit, gemeinsam die Stärken und Schwächen ihrer Arbeit zu erörtern, positives wie negatives Feedback wohlwollend aufzunehmen, ist jedoch unabdingbar für die Weiterentwicklung eines Teams. Feedbackmechanismen können anfangs außerhalb der täglichen Arbeit trainiert werden, später dann in den Arbeitsprozeß integriert werden.

4.10 Persönliche Weiterentwicklung

Nach LEUZINGER / LUTERBACHER ermöglicht die Teamarbeit dem Einzelnen eine zusätzliche Entwicklungsmöglichkeit (1994, S.133). Hemmungen werden abgebaut und Sicherheit gefördert. "Der Einzelne wird befreit von falschen Zweifeln an der Bedeutung eigener Erfahrungen oder an der Richtigkeit eigener Meinungen" (ebenda).

FRANCIS / YOUNG widmen ein umfaßendes Kapitel diesem Thema (1996, S. 120 ff). Die ‚ausgeprägte Persönlichkeit' wird beschrieben als ein Mensch, der Ausdauer hat, im Einklang mit seinen Gefühlen steht, bereit ist, seine Person in Frage zu stellen, seinen Standpunkt nach den Argumenten und nicht nach der Windrichtung ändert und risikobereit ist. Es wird ein Hinwenden von einer passiven zu einer aktiven Lebenseinstellung postuliert und die Vorteile von Selbstbehauptungs-trainings für das erfolgreiche Team werden aufgezählt. Fazit ist, daß ein Team an starken Persönlichkeiten, die bewußt neue Erfahrungen suchen und die sich ganz in den Dienst des Teams stellen, wächst. Im Gegenzug können (neue) Mitglieder ein erfolgreiches Team als Vehikel ansehen, in dem sie derartige persönliche Reifeprozesse vollziehen können.

4.11 Kreativität

Das Team hat die Fähigkeit, durch sein Zusammenspiel neue Ideen zu kreieren, innovative Risiken zu fördern und neue Ideen wohlwollend aufzunehmen und umzusetzen. Kreativität ist ein schwer zu beschreibender Prozeß, weil er nicht auf logischen Mechanismen basiert. Trotzdem gibt es Methoden, mit denen man sie einleiten und kanalisieren kann. FRANCIS / YOUNG fassen den Kreativitätsprozeß in vier Schritte (S.128):

  1. Festlegung eines Mangels
  2. Erzeugung von Rohideen
  3. Erarbeitung von ausgereiften Entwürfen
  4. Prüfung der Entwürfe und Anwendung der neuen Idee.

Kreativitätstechniken sind:

Kreativität ist somit nicht die Sache weniger Genies. Sie kann und muß vom Unternehmen gezielt gefördert werden. Eine Methode hierfür ist meines Dafürhaltens das betriebliche Vorschlagwesen, bei dem Vorschläge aller Beschäftigten eingereicht, geprüft und im Fall der Anwendbarkeit vom Unternehmen übernommen und honoriert werden. Diese Managementtechnik hat sich bereits in vielen Krankenhäusern durchgesetzt. Der mangelnde Zuspruch durch die Mitarbeiter ist m. E. ein Zeichen dafür, daß durch jahrelanges starres Management das Kreativitätspotential im Unternehmen erstickt wurde. Die Folge dieses Prozeßes ist, daß die Mitarbeiter gegen Neuerungen verhärtet sind. Die Wiederholung unsinniger Arbeitsabläufe wird oft nicht mehr hinterfragt und jede Veränderung wird als Zumutung empfunden. Die Schulung von Kreativität muß beim Krankenpflegepersonal damit anfangen, die Mängel ihrer Arbeitssituation wahrzunehmen. Hierfür ist das Team ein ausgezeichneter Rahmen. Aus den resultierenden Verbesserungsvorschlägen können den Krankenhäusern und Kliniken viele wertvolle Ideen erwachsen.

4.12 Beziehungen zu anderen Gruppen

In Unternehmen mit verschiedenen Untereinheiten bilden sich häufig Klischees aus, die zunächst durchaus zufällig entstehen können, aber im Rückkopplungs-prozeß zur Realität werden können, weil Menschen wie auch Gruppen die Tendenz haben, sich gemäß den Erwartungen, die an sie gestellt werden, zu verhalten.

Andererseits kann unter Arbeitsgruppen mit ähnlichen Aufgaben ein Konkurrenzkampf entstehen, der sich selbständig macht und in dem es nur noch darum geht, wer Sieger und wer Verlierer ist. Entgegen der Meinung von LEUZINGER / LUTERBACHER, die es unter Umständen für nützlich halten, den "...Wettbewerb zwischen Gruppen anzuregen" (1994, S.128), sehen FRANCIS / YOUNG in einem solchen Konkurrenzkampf eine Gefahr für die Unternehmen, weil das eigentliche gemeinsame Ziel schnell aus dem Blickwinkel gerät (1996, S 136, 138f).

Es bedarf besonderer Anstrengungen, um den Kontakt zwischen den verschiedenen Teams herzustellen und einen Prozeß gegenseitiger Verständigung anzukurbeln. Hierfür sind verschiedene Schritte vonnöten:

4.12.1 Erkennen der gemeinsamen Ziele

Es reicht nicht aus, als gemeinsames Ziel die Profitoptimierung zu nennen. Die einzelnen Ziele müssen klar und ausführlich als gemeinsam identifiziert werden. Es muß erkannt werden, daß die verschiedenen Untergruppen voneinander abhängig sind, die Ziele müssen koordiniert werden.

4.12.2 Persönliches Verständnis

Der persönliche Kontakt zu Mitgliedern anderer Gruppen ist unabdingbar für das Überbrücken von Gräben. Wenn "die Anderen" ein Gesicht bekommen und zwanglos mit ihnen kommuniziert werden kann, entwickelt sich ein Sinn für ihre Motive und Triebkräfte. Die sich entwickelnde Sympathie kann aus einem Gegeneinander ein Miteinander machen.

4.12.3 Entwicklung von Berührungspunkten

In den meisten Organisationen müssen erst strukturelle Voraussetzungen für die Zusammenarbeit verschiedener Gruppen geschaffen werden. Jedoch müssen die einzelnen Gruppen vorher den Wunsch nach einer derartigen Begegnung verspüren und sich über die Erwartungen Klarheit verschaffen, die diese mit sich bringen sollen.

4.12.4 Vertrauensbildende Maßnahmen

Vertrauen entsteht oft in schwierigen Situationen, wenn Menschen gemeinsam eine Lösung finden müssen. Das liegt daran, daß in solchen Situationen meist kein Platz für taktische Spiele und halbherzige Absichtserklärungen ist. Um Vertrauen zu bilden, müssen Absichten und Vorgehensweisen offen dargelegt werden und man muß mit der zu erwartenden Kritik konstruktiv umgehen.

Die Koordination der verschiedenen Gruppen im Krankenhaus erscheint vordringlich. Das beginnt bei den unmittelbar zusammenarbeitenden Gruppen "Ärzte" und "Schwestern". Einer Umfrage zufolge sind ein Drittel aller Pflegepersonen der Meinung, daß die Zusammenarbeit mit den Ärzten ‚mittel bis schlecht' funktioniert (vgl. LEUZINGER / LUTERBACHER, 1994, S.126). Im Rahmen eines stationären Teamtrainings wäre es meiner Meinung nach daher anzuraten, diese beiden Gruppen, die auf etlichen Stationen noch wie Wesen von unterschiedlichen Planeten nebeneinander her arbeiten, zu einem Team "zusammenzuschweißen".

Der oben beschriebene Konkurrenzkampf ist im Krankenhaus besonders deutlich zwischen den verschiedenen medizinischen Fachrichtungen wie Chirurgie, Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie, usw. zu beobachten. Erst nach und nach setzt sich in der Pflege ein Job-Rotation durch, welches ein gegenseitiges Kennenlernen und Befruchten zwischen den verschiedenen Disziplinen möglich macht.

Schwierig wird die Sache allerdings bei "artfremden" Abteilungen, wo man zum Teil eher von Grabenkämpfen als von Kontakt sprechen kann. Daß die Abteilung für Beschaffung beim Einkauf von Sterilgut darauf bedacht ist, möglichst billig einzukaufen, will der Krankenschwester im Nachtdienst, die beim Auspacken derselben wegen ungenügender Perforation 10% verwerfen muß, nicht einleuchten. Die Verwaltung, die "im Zuge der Einführung neuer Datenverarbeitungssysteme" mit immer komplexeren neuen Formularen aufwartet, die vom Pflegepersonal ausgefüllt werden müssen, schürt Unverständnis; die Apotheke, die eine Krankenpflegekraft lange nach einem Medikament suchen läßt, das mit dem Hersteller den Namen und das Erkennungsmerkmal (z.B. Farbe) gewechselt hat, läßt Patienten unnötig lange leiden.

Hier kann ausgehend von funktionierenden selbstbewußten stationären Teams, die ja im Mittelpunkt des Dienstleistungsbetriebs "Krankenhaus" stehen, ein sternförmiger Kontakt zu angrenzenden Gruppen entstehen, der für das ganze Unternehmen segensreich wirken kann.

"Zur Gesunderhaltung des Organismus (Unternehmen, d.V.) ist es besonders wichtig, daß die Grenzen zwischen den Untereinheiten durchlässig bleiben und den Austausch von Nachrichten zulassen. Wenn die Grenzen geschlossen sind, verkümmert der Organismus und geht möglicherweise zugrunde." (FRANCIS / YOUNG, 1996, S. 139)