4 Das Kohärenzgefühl (SOC)

Gesucht wird also nach generellen Widerstandsfaktoren, nach heilsamen Faktoren, die einem dabei helfen, mit jedwedem Stressor umzugehen. Die von Antonovsky entwicklete Theorie des Kohärenzgefühls befindet sich noch immer in der Phase der empirischen Überprüfung, jedoch wird vielerorts bereits damit gearbeitet und viele Befragungen unterstützen seine Annahmen.

4.1 Generalisierte Widerstandsfaktoren (GRR)

Lange hat Antonovsky nach Faktoren gesucht, die aktiv am Prozeß der Gesundung mitwirken. Er sammelte eine Reihe von Faktoren, für die das zutraf, und nannte sie Generalisierte Widerstandsfaktoren. Generalisiert, weil sie in allen möglichen Situationen wirksam werden, und Widerstand, weil sie die Widerstandfähigkeit eines Individuums erhöhen. Generalisierte Widerstandsfaktoren (General Resistance Recources) sind demnach:

desweiteren:

Sind diese generalisierten Widerstandsfaktoren bei einem Menschen besonders ausgeprägt, führt das laut Antonovsky zu Lebenserfahrungen, die der Mensch versteht, die ihn an der Gestaltung von Ergebnissen teilhaben lassen und die ihn weder überbeanspruchen noch unterfordern. Wenn ein Mensch so geartete ähnliche Lebenserfahrungen wiederholt macht, führt das zur Ausbildung eines hohen SOC.

Außerdem sind die Generalisierten Widerstandsfaktoren ein Potential, was im Spannungszustand aktiviert werden kann, um bei der Bewältigung zu helfen.

Später definierte Antonovsky Stressoren als generalisierte Widerstandsdefizite. So hat man am einen Ende der Stange die Generalisierte Widerstandsfaktoren, die einem ständig die Möglichkeit bieten, positive Lebenserfahrungen zu machen, am anderen Ende die generalisierten Widerstandsdefizite oder Stressoren, die Entropie in das System bringen.

Abbildung 5: Salutogenese

In der Folge suchte Antonovsky nach Gemeinsamkeiten dieser vielen Faktoren und kam dabei auf das SOC:

4.2 Das Gefühl der Verstehbarkeit (sense of comprehensibility)

Nach der Informationstheorie unterteilt Antonovsky die Stimuli, die auf jeden Menschen einwirken in 'Information' und 'Rauschen'. Jemand, der die Stimuli aus der Umwelt als Information wahrnimmt, kann die Welt als verstehbar und vorhersagbar wahrnehmen, wer nur Rauschen wahrnimmt, wird dahinter unerklärliches, willkürliches Chaos vermuten.

Die erste Gemeinsamkeit solcher heilsamer Faktoren ist nach Antonowsky, daß sie den Menschen helfen, ihre Umwelt sinnvoll zu verstehen. Die Anforderungen und Belastungen werden von den betreffenden Menschen als sinnvoll, geordnet und vorhersagbar verstanden.

Hier ist nicht von der Erwünschtheit von Stimuli die Rede; Krieg, Tod und Versagen können immer eintreten ("Shit happens"), aber Menschen mit einem hohem Gefühl der Verstehbarkeit können sich solche Ereignisse erklären.

4.3 Das Machbarkeitsgefühl (sense of manageability)

Das Machbarkeitsgefühl umschreibt die tiefgreifende Überzeugung, daß das Leben zu meistern ist. All die verschiedenen Anforderungen, die an den Menschen gestellt werden, machen Bewältigung notwendig. Das Machbarkeitsgefühl ist das Gefühl, daß alle Ressourcen vorhanden sind, die dafür nötig sind, mit den vielen Stressoren des Lebens fertig zu werden. Zur Verfügung stehende Ressourcen können von einem selbst kontrolliert werden oder von anderen, die einem nahestehen, denen man vertraut: Partner, Eltern, Freunde u.s.w. Das wird als "social support" (soziale Unterstützung) bezeichnet. "Die Dinge werden sich schon regeln" bzw. "Wir werden das Kind schon schaukeln" sind m.E. Redensarten, die den emotionalen Gehalt des Machbarkeitsgefühls gut umschreiben.

Das andere Extrem dazu ist der Pechvogel (Zweifler, Pessimist), dem die Suppe über das Frack gegossen wird, dem lauter unangenehme Dinge zustoßen und der die Überzeugung hat, daß sich daran nichts ändern wird.

4.4 Bedeutsamkeitsgefühl (sense of meaningfulness)

Die Herausforderungen der Umwelt werden nicht als Belastung, sondern als Herausforderung verstanden. Hier geht es um die Grundmotivation: Es reicht nicht, daß der Mensch die Herausforderung versteht und sich in der Lage fühlt, sie zu bewältigen, er muß es auch wollen. Das Bedeutsamkeitsgefühl hilft einem dabei, in schweren Situationen nicht zu verzweifeln, sondern frohen Mutes den Kampf wieder aufzunehmen. Diese dritte Komponente ist es, die motivierend wirkt.

Jemand, der diese Komponente nicht hat, gibt widerstrebend zu, daß es wichtige Dinge in seinem Leben gibt, aber nur, weil sie ihm ermüdende Lasten aufbürden, auf die er gerne verzichtet hätte.

Antonovsky definiert das Kohärenzgefühl folgendermaßen:

"Eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, daß erstens die Anforderungen aus der internalen oder externalen Umwelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind, und daß zweitens die Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden. Und drittens, daß diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investitionen und Engagement verdienen." (ANTONOVSKY, 1993 : 12)

Das Kohärenzgefühl ist kein spezieller 'Coping-Stil', es ist nicht das 'Antibiotikum der Sozialmedizin', sondern es befähigt eine Person, in einer speziellen Situation eine spezifische erfolgversprechende Art des Coping auszuwählen. Je stärker das Kohärenzgefühl ist, desto erfolgreicher wird eine Person die unendlich vielen inneren und äußeren Stressoren bewältigen können.

4.5 Einfluß des SOC auf die Interaktion von Stressoren und GRR's

Antonovsky definiert Stressoren folgendermaßen:

"Stressoren sind Herausforderungen, für die es keine unmittelbar verfügbaren oder automatisch adaptiven Reaktionen gibt" (ANTONOVSKY, 1987, S.43)

Stressoren erzeugen einen Zustand der Spannung. Wirkt ein Stressor auf eine Person ein, so steht diese vor dem Imperativ: 'Ich muß handeln!'.

Darauf stellt sich eine duale Frage: 1. 'Was soll ich tun?'
2. 'Was bin ich wert?'

Menschen mit einem hohen SOC werden mit größerer Wahrscheinlichkeit den Stressor als harmlos, günstig oder irrelevant umdefinieren:

Beispiele:

Allgemein reagieren Menschen mit einem niedrigen SOC auf Stressoren mit Gefühlen wie:

Menschen mit hohem SOC werden auf Stressoren mit Gefühlen reagieren wie: